Überkümmern wir unsere Pferde?

Oder kümmern wir einfach in die falsche Richtung?

Kürzlich habe ich ein Interview mit Hundetrainer Andreas Ohligschläger gehört - und mir ist seine These, die Menschen würden sich oft viel zu viel um ihr Tier kümmern und daraus entstünden vielerlei Probleme, danach noch durch den Kopf gegangen.

Ich denke, da ist etwas Wahres dran (wobei es natürlich auch gegenteilige Fälle gibt).

Das Ganze habe ich gedanklich mal aufs Pferd übertragen, zumal ich schon im vergangenen Jahr in der "Feine Hilfen" einen Artikel gelesen hatte, in dem es um das mentale und körperliche Loslassen ging. Ich finde diesen Aspekt sehr gut und richtig: Einfach mal LOS LASSEN können, ist so wichtig.

Natürlich muss das im richtigen Augenblick passieren und nicht zu einem "laisser-faire" werden. Natürlich müssen wir immer das richtige Maß an "loslassen" und "festhalten" finden. Das ist für uns Menschen gar nicht so einfach. Auch, weil wir eine andere Sprache sprechen als unsere Tiere. Aber im Artikel von Agnes Trosse in der "Feine Hilfen" ging es auch darum, dass wir Menschen mit unserer Hand, unserem wichtigsten Werkzeug, extrem darauf trainiert sind, Dinge fest zu halten.

Aber was macht das Loslassen mental so schwer für uns? Vielleicht unser verkopft-Sein. Denn: Wir haben ja schließlich die Verantwortung für das Tier. Dem soll es gut gehen. Es soll nicht leiden. Nicht einen winzigen Moment. Wir müssen es beschützen, wir haben uns ja dafür entschieden, uns zu kümmern.

Was "Kümmern" häufig bedeutet, beobachte ich regelmäßig: "Hach. Der Sattel ist vermutlich wieder das Problem. Er hält sich im Rücken so fest. Er schlurft hinten so. Und insgesamt ist er so unmotiviert. Wir geben ihm ja schon dieses und jenes Pülverchen und versuchen, ihn täglich zu gymnastizieren. Tierarzt A war schon da und hat ihn erfolglos untersucht. Dann haben wir von Tierarzt B ein Blutbild machen lassen. Aber da finden wir auch nichts. Naja, ist dann zwar schon der fünfte Sattel in drei Jahren, aber wenn es sein muss..." (Das war jetzt sozusagen die Kurzform. Meist ziehen sich diese "Problemchen" über Jahre...).

Ja, das hört sich alles erstmal fein an. Wir versuchen zu ergründen, was warum falsch läuft und wie wir es für das Pferd verbessern können. Ist ja im Grunde super. Wir sind reflektierte Wesen und müssten uns vermutlich Vorwürfe machen, würden wir uns diese Gedanken nicht machen. Aber... was, wenn wir in die falsche Richtung denken? Was, wenn das Pferd im Grunde kein Problem (mehr) mit dem Sattel hat, die tägliche Gymnastik nicht das Heilbringende ist, und es eigentlich im Großen und Ganzen gesund - aber eben steif und festgehalten - ist? Was, wenn die Pülverchen seinem Organismus völlig egal sind?

Was, wenn wir uns selbst - beziehungsweise unsere Haltung - ändern müssten? Oft ist der Umgang in dieser Mensch-Pferd-Beziehung von tiefen Sorgenfalten auf der Stirn geprägt. Eine Pferdebesitzerin geht gar nicht mehr in den Stall, ohne sich zu denken "Ach, hoffentlich geht es ihm heute gut. Hoffentlich ist es endlich besser geworden!". Und findet am Ende möglicherweise eine Scheuerstelle am Schweif, die ihr neue Sorgen bereitet.

Das Thema ist verdammt schwer. Weil: Die Balance ist manchmal schwer. Das Gefühl zu haben "ich habe alles getan, was in meiner Macht steht, dass es nur besser werden kann" ist nämlich noch lange nicht Balance. Oft ist der Schlüssel zur Balance: Kurzzeitig aufgeben. Einfach mal wegschauen. Pferd Pferd sein lassen. Bis ich wieder einen klaren Kopf habe. Denn nur so bin ich überhaupt erst wieder dazu bereit, mich auf meinen Partner Pferd zu freuen. Und das war doch - irgendwann mal - Sinn der Sache, oder?

Ich möchte, bitte versteh' mich nicht falsch!, - niemanden dafür verurteilen, diverse Problemchen bei seinem Pferd beheben, verändern zu wollen und verschiedene Dinge dafür auszuprobieren. Das ist ja alles erstmal richtig, normal und menschlich (und möglicherweise auch ein typisches Frauen-Ding?). Und durchaus: Wir haben ja die Verantwortung für dieses Lebewesen übernommen. Und ganz nebenbei könnte ich kaum als Pferdephysiotherapeutin arbeiten, wenn dies nicht auch dem Pferd gut tun würde und auch eine Art von "sich kümmern" wäre...

Aber - und jetzt kommt das große Aber: Weniger ist manchmal mehr. Einfach mal Pause machen mit Kümmerei, wirkt manchmal Wunder. Denn Pferde spüren das auch, wenn wir ständig voller Sorgen um sie herum schwirren. Die bedrückte Stimmung und die permanenten Zweifel (ist wirklich alles ok?) übertrage ich auf mein Pferd. Meine Körperhaltung, meine Atmung - wenn ich diese Anspannung ausstrahle, wird mein Pferd sie aufnehmen und irgendwann selbst übernehmen.

Kennt Ihr? Dann bitte: Etwas mehr Zen. Etwas weniger Wollen.

Warum mich das so beschäftigt? Weil ich es selbst erst lernen musste und im Laufe der Jahre ganz klar eine Entwicklung beobachtet habe:

Wenige Monate nachdem mein erstes eigenes Pferd zu mir gekommen war, hatte es eine schwere Kolik, die nur durch eine operative Darmentleerung aufgelöst werden konnte. Ich hatte so etwas noch nie erlebt und war natürlich mit den Nerven vollkommen fertig. Bei der Operation ist glücklicherweise alles gut gegangen. Danach musste ich mehrere Wochen natürlich extrem aufpassen und die Nachsorge fürs Pferd organisieren. Mehrmals am Tag kleinere Gaben an Mash. Mein Pferd stand in der Zeit 24 Stunden in der Box, durfte keinen Freilauf genießen, sollte täglich etwas geführt werden und zudem rund um die Uhr mit gutem Heu versorgt sein. Das erfordert verdammt viel Zeitaufwand. Das habe ich irgendwie hingekriegt.

Aber obwohl alles bergauf ging, habe ich mich emotional komplett fertig gemacht, weil ja immer wieder etwas hätte passieren können. Ich bin mit Bauchschmerzen und Herzrasen zur Arbeit gegangen, weil ich mir regelmäßig die Nacht um die Ohren geschlagen habe. Vor Grübelei. Nach dem Job bin ich mit Kopfschmerzen in den Stall, habe mich um alles gekümmert (nachdem tagsüber noch zwei andere Personen dort waren) und bin anfangs auch gegen Mitternacht nochmal hin. Nur zur Sicherheit.

Das gehört zu einer OP-Nachsorge wohl alles mehr oder weniger dazu. Was mich aber erst so richtig verrückt gemacht hat, war meine eigene Sorge. Nach ein paar Wochen - als mein Pferd wieder stabil war - haben wir den Stall gewechselt. Mein Pferd zog in eine große Wallachherde in den Offenstall und wir hatten erstmalig "Vollpension". Die Integration in die Herde war sehr hart für ihn und hat auch eine ganze Weile gedauert. Aber vom ersten Tag an, den wir an diesem Stall waren, habe ich innerlich durchgeatmet. Für mich war dort alles optimal, ich habe - wegen einfach rundum positiver Rahmenbedingungen - darauf vertraut, dass alles gut werden würde. Das hat mich unendlich entspannt. Endlich konnte ich loslassen.

Alles hat sich eingependelt und ich habe schon kurze Zeit später keinen Gedanken mehr daran verschwendet, dass uns eine neue Kolik drohen könnte. Alles war einfach gut. (Ganz nebenbei bemerkt: Mein Pferd war täglich ziemlich zerbissen und das war auch irgendwann nicht mehr feierlich - ich hatte aber entschieden, dass alles gut werden würde und schlicht nicht mehr die Energie, mich weiter zu sorgen. Also mussten wir durch diese Macken-Phase wohl durch.) Diese Ereignisse haben mich Vieles gelehrt.

Danach kamen noch weitere Ereignisse und Phasen, in denen ich meine Pferdesorge immer wieder loslassen musste. Meist wurde ich durch "äußere Umstände" dazu gezwungen, ich konnte gar nicht anders. Aber das war definitiv mental auf lange Sicht für mich gesünder - und mein Pferd hat, denke ich, gleichzeitig mit gelernt: Insgesamt ist auch er entspannter geworden.

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