Langfristig longieren - Teil 1 von 2

Tipps für Deine Reitpause

Ab und zu empfehle ich nach einer physiotherapeutischen Behandlung eine längere Reitpause. Das kann bei Pferden, die schon lange mit ihrer Fehlhaltung zu schaffen hatten, helfen, einen Teufelskreis zu durchbrechen (wie z. B. bei einer Trageschwäche oder nach längeren schmerzhaften Verletzungen). Ohne Reitergewicht kann ein Pferd erst mal seine eigene Balance – in jeder Hinsicht – wieder finden. Und es sind hier nicht die jungen Pferde, die ihre Balance neu finden müssen! Gerade bei mittelalten Freizeitpferden haben sich häufig muskuläre Schonhaltungen und Schiefen manifestiert, die nicht ohne Weiteres im regulären Training verschwinden. 

Natürlich steht am Anfang die physiotherapeutische Behandlung. Mindestens eine ist in der Regel nötig, um dem Organismus den richtigen Anstoß zu geben, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Dann rate ich also nach der ersten Behandlung dazu, das Pferd nach meiner Arbeit mehrere Wochen nicht zu Reiten.

Was ist die Alternative – denn ohne Training wird es ja muskulär komplett abbauen und die Schiefe wird sich nicht verbessern...? (Erstmal vorweg: Keine Sorge, im Einzelfall gebe ich Euch passende Trainingstipps an die Hand und baue Euch im Zweifel einen konkreten Trainingsplan für mehrere Wochen auf!)

Eine längere Reitpause kann ein "Reset" für den Bewegungsapparat sein, wenn sie von den richtigen Übungen und durchdachtem Alternativtraining zur Reha begleitet wird.
Nun ist vielen Reiterinnen das Longieren als die Reitalternative sehr geläufig, um das Pferd ohne Reiter zu bewegen. Ich habe die Erfahrung gemacht: Vielfach fehlen bei der Pferdebesitzerin tatsächlich weitere gelernte Werkzeuge im "Trainingskoffer". 

In den letzten Jahren haben sich zwar vermehrt Reiterinnen mit der Bodenarbeit beschäftigt, die meisten fühlen sich aber in dieser Sache noch nicht sicher genug, um selbstständig eine lange Zeit mit dem Pferd auch zu (gezielten!) Trainingszwecken zu überbrücken und dabei die richtigen Trainingsanreize zu geben. 

Also... wird dann wochenlang longiert? Ja - und nein.

Ja, weil wir nicht ausgerechnet in einer Akutsituation neue (= zunächst für uns schwierige) Trainingsweisen erlernen können und müssen und man durchaus auch mit Longen-Einheiten schon weit kommt. 

Nein, weil ein Pferd – und auch eine Besitzerin – in der Regel keine drei Wochen am Stück Spaß am Longieren in der klassisch gelernten Art und Weise haben werden – von einer einseitigen Gliedmassenbelastung bei Unwissenheit mal ganz abgesehen.

Also was ist der Ausweg? Fang an, zu spielen! Be creative! 

[Einschub: Das Thema Hilfszügel ist ein sehr kontroverses. In 98 Prozent der Fälle rate auch ich dazu, definitiv ohne Hilfszügel zu arbeiten, denn sie helfen wirklich nur sehr selten mehr als dass sie behindern. Im Einzelfall werde ich Dir im Rahmen des Trainingsplans immer eine genaue Anleitung auf Basis Eurer Vorerfahrung geben. Und allgemein und generell... werde ich auch über Hilfszügel einen eigenen Artikel veröffentlichen :-)]

1. Naharbeit mit "Kurzlonge"

Longieren heißt ja nicht zwingend: In der Mitte an einem Punkt die Hacken in den Sand rammen und das Pferd um sich herumlaufen lassen. So hast Du es vielleicht auch noch gelernt? Mach' mal so: Nimm die Longe kürzer als gewohnt, vielleicht auf etwa zweieinhalb Meter. Geh' mit, wirke mit Deiner Körperhaltung und -bewegung auf Dein Pferd ein. Mach "Naharbeit", bei der Du die Hilfengebung verfeinern und verbessern kannst, die Kommunikation mit deinem Pferd schulen und Deinem Pferd zum Beispiel sehr konkret sagen kannst "Schmeiß' Dich bitte nicht so auf die innere Schulter" (Antippen an der Schulter mit einer langen Gerte) oder "Bitte benutze auch Dein inneres Hinterbein im richtigen Moment" (Touchieren des Beins beim Abfußen).


Du hast viel mehr Einwirkungsmöglichkeit, gerade wenn es auf die Entfernung – also beim gewohnten "Schleudern" mit krampfhaftem Stehenbleiben in der Mitte – manchmal nicht so auf den Punkt klappt.

Du wirst sehen: Du kannst dein Pferd auch am langen Zügel bzw. an der (Kurz-)Longe in deine Hilfen einrahmen! 

Ziele: Verfeinerung der Kommunikation Mensch – Pferd und Blickschulung! Außerdem: Loben üben (oh, ein ganz eigenes Thema!). Korrekte Erarbeitung der Dehnungshaltung (ohne auf die Vorhand zu fallen!), Förderung der Biegung, Galopp-Intervalle für a) Kondition, b) Rückenmobiliation, c) Bauchmuskeltraining

Mein Literaturtipp dazu: Kirsten Jung, "Rückentraining mit dem Kappzaum. Pferde lösen, ausbilden, gymnastizieren" und der Longenkurs von Babette Teschen. Für weitergehend Interessierte auch der Kurs "Sehen lernen", um das Auge zu schulen, ob mein Pferd sich korrekt bewegt.

2. Stangen- und Cavalettiarbeit an der Longe

Okay, das werden die meisten kennen. Hierfür muss die Longe meist wieder etwas länger genommen werden – aber gerade für den Anfang birgt eine zu große Entfernung vom Pferd für Euch beide nur unnötige Schwierigkeit. Also bleibe am besten bei plus/minus fünf Metern.

Hier gilt: Steigert Euch langsam. Von Schrittstangen bis Galoppcavaletti ist Einiges an Übung notwendig. Mal davon abgesehen, dass ein Pferd, das eine Rehabilitation benötigt, auch häufig weitere Probleme wie Taktfehler, unsauberes Abfußen etc. mitbringt. 

Gerade geschwächte Pferde haben oft auch Koordinationsprobleme. Also halte Deine Ansprüche niedrig, überfordere Dein Pferd nicht, um die Motivation zu erhalten. Und last but not least: Bloß nicht aus dem Nichts heraus mit Cavaletti anfangen. Hattet Ihr vorher damit nichts oder wenig zu tun, solltest Du auch bedenken, dass Bänder und Sehnen erst langsam auf vermehrte Belastung vorbereitet werden müssen. 

Ziel: Beinaktivität und damit Gelenkmobilisation, Bauchmuskeltraining, Rumpf anheben, Dehnung der Oberlinie bei einzelnen Sprüngen über Cavaletti.

Literaturtipps dazu: Gaby Klehr, "Kreatives Dressurtraining" und in diesem Artikel von wehorse findest Du viele Übungen und noch mehr Links zu Ingrid Klimkes Trainingstipps mit Cavaletti zusammengefasst – bedenke aber immer, dass Ihr eine Übung nach der anderen angeht und weniger manchmal mehr ist (dafür aber korrekt ausgeführt).

Mikado spielen und mehr

Noch drei weitere Ideen, das Longieren abwechslungsreicher zu gestalten und Stoff dafür, Deine Reitpause kreativ zu füllen, findet Du in Teil 2!

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