Der Bewegungsapparat und die fette Weide

Überbelastung der Strukturen

Aus aktuellem Anlass - Start der Weidesaison - spreche ich hier über das Thema Weidebauch. Aus physiotherapeutischer Sicht. Dass ein Pferd, das dauerhaft zu dick ist und sein übermäßiges Körpergewicht über lange Zeit tragen muss, voraussichtlich – wie ein übergewichtiger Mensch – Gelenkprobleme bekommen wird, das wissen die Meisten. Hier sprechen wir über Jahre.

Was aber, wenn mein Pferd jetzt gerade aktuell auf einer frischen Frühlingswiese mit gutem Aufwuchs steht, nicht alt und nicht krank ist und dieses Weidegras "normal" verstoffwechselt? Dann hat es nach der Weidezeit einen kugelrunden Bauch. Oft schon nach nur einer Stunde Fresszeit. Mindestens aber nach zweien.

Wir Menschen lieben das romantische Bild von saftigem Grün, wünschen uns für unsere Pferde möglichst viel Auslauf, Freiheit, Weidezeit.

Saftiges Grün - ein Traum (für den Menschen)

Und sobald wir fleißig den März/April unsere Pferde auf 1-2 Stunden Weidezeit angegrast haben, dürfen die meisten bald halbe Tage, viele sogar ganze Tage und einige über 24 Stunden auf die Weide. So schön, so gut – der Mensch freut sich, das Pferd tollt im hohen Gras mit seinen Kumpels umher, darf mal richtig toben. Und richtig reinhauen.

Ich möchte nicht über Anweide-Tipps philosophieren, darüber sind wir wohl alle mittlerweile hinaus. Aber ist dem Menschen klar, welches Mehr an Gewicht plötzlich an der – nicht für das Tragen gemachte – Wirbelsäule "hängt"?

Das klingt jetzt etwas platt, weil der Bauch ja nicht einfach so da dran "hängt". Richtig. Aber durchaus ist die Wirbelsäule muskulär und durch diverse Bindegewebsschichten und das so genannte "Gekröse" mit dem Bauchraum und allen Organen darin (!) verbunden.

Da wir ohnehin bei vielen unserer heutigen Freizeitreitpferde eine Anfälligkeit für Problematiken im thorakalen Übergang der Wirbelsäule (= hintere Bruswirbelsäule/vordere Lendenwirbelsäule) haben und der lumbale Bereich sich leider häufig nicht (mehr) so bewegt wie er es sollte, weil sich Verknöcherungen zwischen den einzelnen Wirbeln bilden, erfährt genau dieser Bereich durch einen besonders kugelrunden Weidebauch eine heftige zusätzliche Belastung. In diesem Bereich des Pferdekörpers können Blockaden zu Koliken führen. Und umgekehrt geht das natürlich genau so. Dazu muss es noch nicht zu einer Kolik gekommen sein. Ein bisschen Bauchdrücken und vemehrter Zug am Pferderücken nach unten (durch einen übervollen Verdauungstrakt und Gase) kann das ganze Pferd unbeweglich machen.

"Jaaa...", sagst Du, "weiß ich doch. Ein dickes Pferd kann und will sich halt nicht so gerne bewegen. Aber dann muss es halt bewegt werden und dann lässt es die ganzen Gase wieder raus. Dann ist's doch wieder gut!"

Hm. Stimmt so halb. Klar. Wenn sich das Pferd noch bewegen lässt, kann das die Verdauung zusätzlich in Schwung bringen. Aber starten wir jeden Tag aufs Neue mit mehreren Stunden Weide und Fressen, Fressen, Fressen (denn das ist die natürliche Vorratshaltung...), wird sich dieses Spiel ja ständig wiederholen und der Pferdekörper bekommt über längere Zeit immer wieder diese Belastung für die Wirbelsäule – welche sich auf die gesamte Statik des Pferdes und natürlich in der Folge auch auf andere Knochen und Gelenke auswirkt.

 

Weidebauch und Atmung

Ein weiterer Aspekt: Auch das Zwerchfell hängt mit in dieser Kette. Muskulär "angeheftet" an die Lendenwirbelsäule, die Rippen und das Brustbein, kommt es bei einem aufgeblasenen Weidebauch (da muss noch nichts schmerzhaft sein) nicht selten zum "Festhalten" des Zwerchfells, das dann sozusagen in einem Atemzug "steckenbleibt". Gerade in diesem Monat habe ich mehrere solcher Fälle unter den Händen gehabt - und die Vierbeiner konnten nach der Behandlung erstmal wieder richtig durchatmen. Hat Dein Pferd eine "Zwerchfell-Läsion", kann schnell mehr dazu kommen. Atmungsschwierigkeiten sind nur ein Aspekt, mangelnde Leistungsbereitschaft nur die logische Erstfolge. Weiter wird dann aber der ganze Brustkorb nicht mehr durchbewegt, die Bewegungen der Vorhand eingeschränkt (die Hinterhand ist es ja schon durch den direkten Bezug zur Lenden- und Beckenregion) und alles funktioniert nicht mehr richtig.

Und nur in der kurzen einen Bewegungsstunde pro Tag rückt Mensch nur wenig davon wieder zurecht.

Das reicht aber nicht. Hier stimmt einfach das Verhältnis nicht. Und da mag ein Offenstall mit freiem Weidezugang im Sommer noch so schön sein (24 Stunden ad libitum Heufütterung über die Wintermonate haben übrigens schon bei vielen Pferden einen ähnlichen Effekt, denn die Raufenfütterung ist nunmal doch etwas anders als das Angebot in der Steppe...); wenn wir nicht wirklich regelmäßig unsere Pferde aktiv bewegen – und das bedeutet: mehr als nur eine Stunde am Tag – bekommen wir die Quittung. Körperliche Probleme.

Lösung: Fressbremse?

Das mag auf den ersten Blick ein einfaches Hilfsmittel sein. Halte ich aber nur für eingeschränkt sinnvoll. Geht es um größere Pferdeherden, bei denen auch gelegentlich Fluktuation in der Zusammensetzung vorkommt, halte ich das für keine Lösung. Die Fressbremse – ebenso wie eine Fliegenmaske – schränkt die Kommunikation des Pferdes mit seinen Artgenossen definitiv ein. Ich kenne zwar keine Studien dazu (das würde mich noch interessieren!), aber unter der Berücksichtigung, dass Nüstern, Maulspalte, Lippen, Augen, Ohren die Mimik eines Pferdes ausmachen, kann ich das nicht (mehr) gutheißen.

Lösung: Weniger Weide?

Ja, auch. Das wäre bei unseren hiesigen Weiden wohl ratsam. Klar, ein noch langsameres Anweiden ist noch aufwändiger als das, was wir bisher vor der echten Weidesaison starten – für Besitzerinnen und für Stallbetreiberinnen. Aber pferdegerechter wäre es. Allemal. Ich hatte mein Pferd über mehrere Jahre in einem Aktivstall untergebracht, der damals noch keine Weiden hatte. Da war ich sogar froh drum. Heu ad libitum reichte vollkommen...

Lösung: Mehr Training?

Ja, definitiv. In Kombination mit weniger Weide wäre das die sinnvollste Lösung. Unsere vierbeinigen Freizeitpartner „tun“ heutzutage viel zu wenig und sind demnach per se häufig schon nur mäßig fit. Und zugleich bekommen sie viel zu viel Futter. Das bezieht sich nicht nur auf Weidegras, aber das ist ein anderes Thema...

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